Ich vermisse schon die alten Leute. Weil, ich geh ja bald in die Schule.
Wissenschaft & Generationenforschung
20. April 2013
Eindrücke vom Symposium «Begegnungen – ein intergeneratives Modellprojekt» im Februar in Freiburg (Breisgau). Der Saal der Evangelischen Hochschule Freiburg (D) war mit 100 Personen schon fast überfüllt. VertreterInnen aus Senioreneinrichtungen und Kindertagesstätten zu gleichen Teilen, Medienschaffende und natürlich die Wissenschaft. Aber auch der Bundesverband Seniorentanz war vertreten.
Gleich zu Beginn wird ein Widerspruch laut: Der Begriff «Begegnungen» sei unglücklich gewählt. «Beziehungen» würde das Miteinander von jungen und alten Menschen treffender beschreiben. Um dieses Miteinander ging es auf dem Symposium. Nach 18 Monaten feierte das Forschungsprojekt «Begegnungen» Bergfest. Erste Erfahrungen aus Sicht der Praxis und der Wissenschaft wurden vorgestellt und ausführlich diskutiert.
Im Februar hat Intergeneration eine der vielen Begegnungen besucht und darüber berichtet.
Bild: Das Forschungsteam: Prof. Dr. Thomas Klie, Prof. Dr. Dörte Weltzien, Norman Pankratz. Nicht im Bild: Dr. Maike Rönnau-Böse
Jung und Alt tun einander gut
Das diese Begegnungen für alle Beteiligten in den meisten Fällen einen förderlichen Austausch bewirken gilt für Praktiker als auch Wissenschaftler als gesichert. Es werden positive Altersbilder vermittelt, Kinder entwickeln autobiografisches Verständnis, es entsteht ein „wir-Gefühl“, neue Rollen werden bei Kindern entdeckt: „Neulich hat ein Kind gesagt: Ich bin jetzt der Beschützer für die Bewohner, ihr (die anderen Kinder) seid viel zu hektisch. Ich pass jetzt auf, damit den alten Menschen nichts passiert.“
Auch „laute“ Kinder kommen nach einer gemeinsamen Stunde ruhiger zurück. Bei den Älteren sind Signale von Wohlbefinden, Engagiertheit und Interesse zu erkennen. Das Fazit: Ein Lernen findet bei beiden Altersgruppen statt. Jetzt sollen intergenerative Begegnungen in den Alltag der Pflegeeinrichtungen integriert werden. „Der Aufwand lohnt“ – so die einhellige Meinung.
Generationen-Kunst
Reinhard Lohmiller, Professor an der Evangelischen Hochschule Freiburg, stellt eine sehr praxisnahe und erfolgversprechende Aktion vor: Eine biografisch ausgerichtete Kunstaktion. Teilnehmende wählen aus einer Kiste Gegenstände und assoziieren daran frei etwas aus ihrem Leben. So erinnert eine alte Uhr an die Konfirmation oder ein Kochtopf an den Geruch in Grossmutters Küche. Die Fundsachen sind Anknüpfungspunkte an das eigene Leben. Ebenso das „Streichen“ von Farbe auf Gegenstände. Zum Beispiel das Färben der eigenen Hände, die dann Spuren auf einer Leinwand hinterlassen.
Rührend war auch der Bericht über die Einladung einer Sitztanzgruppe (Senioren) zu einem Dancebattle (Jugendliche). Es wurde von „fürsorglichen Hip-Hop-DJs“ berichtet, welche sich um die betagten Gäste kümmerten. Mit etwas Mut und Selbstvertrauen tuen sich ungeahnte Möglichkeiten auf.
Sind Ihnen ähnliche Projekte bekannt? Schreiben sie uns bitte.
Praxishandbuch veröffentlicht
Auf dem Symposium wurde neben den ersten wissenschaftlichen Ergebnissen eine Handreichung für die Praxis präsentiert. Sie enthält konkrete Angebote, Spielaufgaben, Themen und Hinweise für Generationen übergreifende Begegnungen.
Weltzien, Rönnau-Böse, Klie, Pankratz (2013): BEGEGNUNGEN. Ein Projekt mit Hochbetagten Menschen und Vorschulkindern. Handreichung für die Praxis. 32 S., ISBN: 978-3-932650-55-0
Das Buch kann hier bestellt werden: Bestellung 5 € inkl. Versand – 32 Seiten
Nach dem Projekt wird es richtig spannend
Nach weiteren 18 Monaten werden alle Ergebnisse vorliegen. Da sind die Interviews ausgewertet, die Video-Beobachtungen analysiert und die Erkenntnisse publiziert. Dann wird sich zeigen, in welchem Umfang die Effekte des Projektes in die Familien getragen werden. Aus dem im Moment noch laufenden Modellprojekt sollen Impulse ausgehen, die in der Praxis ihre Fortsetzung finden. Die nächste Aufgabe wird sein, die Eltern der Kinder und die Angehörigen der Älteren ins Boot zu holen. Wir sind gespannt und werden den Kontakt nach Freiburg halten.
Ein Beitrag von Michael Hausammann
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