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«Wir Grossmütter sind aufmüpfig, engagiert und voller Lebensfreude»

12.03.2021

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Die Rolle der Grossmütter hat sich stark verändert. Mit der gestiegenen Lebenserwartung bleiben heute nach der Pension noch 20 bis 30 Jahre Lebenszeit. Diese nutzen Grossmütter zwar auch, um Enkelkinder zu hüten – aber längst nicht mehr nur. Heutige Grossmütter sind berufstätig und interessieren sich für Kultur, Gesellschaft und Politik. Diesen Wandel will die GrossmütterRevolution* sichtbar machen. Barbara Gurtner (77) und Rosmarie Brunner (62) erzählen, warum sie sich engagieren und bis ins Alter für Anliegen von Frauen kämpfen. 

Manche werden mit 55 Grossmutter, manche mit 80, manche nie – und die Lebensgeschichten sind vielfältig. Gibt es etwas, das die heutige Generation der Grossmütter eint?

Barbara Gurtner: Was uns verbindet ist, dass wir ins Alter gekommen sind mit der Möglichkeit, politisch mitzubestimmen. Eben haben wir ja 50 Jahre Frauenstimmrecht gefeiert. Wir stehen deshalb an einem ganz anderen Punkt als damals unsere Grossmütter. Auch, weil wir Berufe lernen und einer bezahlten Arbeit nachgehen konnten. Für diese Rechte haben wir gekämpft und erreicht, dass wir Frauen heute unabhängiger sind. 

Sie waren 12 Jahre alt, als das Frauenstimmrecht eingeführt wurde. Wie hat der Kampf für die Gleichberechtigung von Mann und Frau Sie geprägt? 

Rosmarie Brunner: Ich habe schon als kleines Kind mitbekommen, wie haarsträubend es meine Mutter fand, dass ihr als Frau nicht die gleichen Kompetenzen und Rechte zugesprochen wurden wie meinem Vater, nur weil der zufälligerweise ein Mann war. Ich erinnere mich zum Beispiel an ihre Wut, nachdem ihr auf dem Polizeiposten nicht erlaubt worden war, für mich eine Identitätskarte ausstellen zu lassen. Dafür brauchte es damals die Zustimmung und Anwesenheit meines Vaters. Gleichzeitig war aber auch mein Vater (Jahrgang 1918) sehr aufgeschlossen. Er engagierte sich bei der Kinderbetreuung und überliess das Autofahren ganz selbstverständlich meiner Mutter.

Inzwischen sind einige Jahre vergangen. Sie könnten sich nun zurücklehnen und auf Kreuzfahrt gehen. Warum engagieren Sie sich weiterhin für Frauenthemen in der GrossmütterRevolution? 

Barbara Gurtner: Es gibt mir Kraft, zu sehen, wie sich auch andere Frauen engagieren. Nach der Einführung des Frauenstimmrechts herrschte eine Stimmung des Aufbruchs. Die neue Frauenbewegung formierte sich und eroberte die Strasse. Dieses Gefühl von Solidarität spornte mich immer weiter an – bis heute! Und es macht Mut. Deshalb engagiere ich mich in der GrossmütterRevolution. Sie hat etwas «Aufmüpfiges», aber auch Lustvolles – das passt!

Rosmarie Brunner: Als kleines Mädchen wurde ich einmal gefragt, was ich werden wolle. Ich antwortete: «Grossmutter!» Damit meinte ich nicht, eigene Kinder oder Grosskinder zu haben, sondern eine alte weise Frau zu werden. Wie weise ich geworden bin, sei dahingestellt, aber ich werde nun alt (schmunzelt). Als ich von der GrossmütterRevolution gehört habe, fühlte ich mich sofort angesprochen. Schon bei meiner ersten Tagung vor circa drei Jahren dachte ich: Da sind ganz viele alte tolle Weiber. Sie engagieren sich teilweise seit Jahrzehnten für die Sache der Frau, für sich selbst, auf ganz verschiedene Art – das ist grossartig. Auf einer anderen Ebene bin ich übrigens doch noch «Grossmutter» geworden. Mein Mann, den ich vor elf Jahren kennenlernte, hat fünf Grosskinder – sie sind nun meine «angeschmuusten» Grosskinder. 

Was Sie es als kleines Mädchen geahnt hatten, ist eingetroffen: Sie haben keine eigenen Kinder und Grosskinder. 

Rosmarie Brunner: Mir tut es nicht weh, dass ich keine eigenen Kinder und Grosskinder habe, es ist einfach mein Weg. Ich verstehe aber, dass es Frauen gibt, die darunter leiden. Und für sie ist der Name «GrossmütterRevolution» nicht einfach. Uns ist aber wichtig, niemanden auszuschliessen. Es ist egal, ob man selbst Kinder hat oder nicht, ob man immer Lohnarbeit geleistet hat oder Hausarbeit. Wenn Frauen sagen, sie seien ja keine Grossmütter, dann antworte ich jeweils, sie seien aber «grosse Mütter» im gesellschaftlichen Sinne – alle leisten ihren Beitrag. 

Barbara Gurtner: Die GrossmütterRevolution ist ein Projekt für alle Frauen, unabhängig davon, ob sie biologische Grossmütter sind oder nicht. 

Rosmarie Brunner: Das finde ich sehr wichtig. Nur das Patriarchat profitiert davon, wenn wir uns auseinanderdividieren lassen. Ob wir Kinder, Grosskinder oder weiss der Geier was haben, braucht uns nicht zu kümmern. Wir sind einfach Frauen, die ihr Leben leben, langsam alt sind, und immer noch dafür kämpfen, dass wir nicht unter die Räder kommen.

Bittet man ein Kind, ein «Grosi» zu zeichnen, ist die Chance gross, dass es eine alte Frau mit hochgesteckten, silbergrauen Haaren malt, die vor dem Ofen sitzt und strickt. Warum hält sich dieses Bild so hartnäckig in unseren Köpfen? 

Rosmarie Brunner: Das ist mir auch ein Rätsel. Kaum ein Kind kennt heute ein solches Grosi. 

Barbara Gurtner: Wenn ich Rezeptbücher anschaue und lese «nach Grossmutterart», frage ich mich auch immer, wer denn diese Grossmutter ist. 

Rosmarie Brunner: Auch wenn dieses Bild schrecklich veraltet ist, drückt es für mich etwas aus, das zu Grossmüttern passt: Geborgenheit. Wenn ich im Konfirmationsunterricht meine Schülerinnen und Schüler fragte, wer ihnen im Leben wichtig sei, nannten sie ganz oft ihre Grossmütter. Sie fühlten sich bei ihnen geborgen, ernst genommen, unterstützt – das sind Qualitäten einer Grossmutter. 

Barbara Gurtner: Der Begriff «Geborgenheit» passt mir auch. Gerade bei der Kinderbetreuung bieten Grosseltern einen Ort der Geborgenheit. Darum wäre es auch nötig, dass sie eine höhere Wertschätzung hätten in unserer Gesellschaft, weil sie enorm viel Gratisarbeit leisten, die in keinem Budget erscheint. Das ist nicht selbstverständlich. 

Wie gross dieses Engagement ist, lässt sich belegen: Gemäss dem Bundesamt für Statistik betreuen Grosseltern jährlich während 160 Millionen Stunden Enkelkinder. Das entspricht einer Wirtschaftsleistung von rund acht Milliarden Franken. Am Grosselterntag – immer am zweiten Sonntag im März – soll dieses Engagement sichtbar gemacht werden. 

Rosmarie Brunner: Das ist nett, es reicht aber nicht, einmal pro Jahr zu klatschen. Es muss um mehr gehen als um einen Blumenstrauss.

Barbara Gurtner: Ich habe gar nicht gewusst, dass es den Grosselterntag gibt. Ich finde es aber richtig, dass man das Thema aufnimmt, gerade in der Coronazeit, die aufgezeigt hat, was Grosseltern alles leisten. 

Speziell wenn es um die Kinderbetreuung geht, spielen Grosseltern immer noch eine wichtige Rolle – und gleichzeitig haben sie heute viele eigene Pläne, die sie verwirklichen wollen. Wie gehen Sie damit um?  

Rosmarie Brunner: Ja, man will nicht als Rabengrosseltern dastehen. Die eigenen Bedürfnisse sind aber wichtig. Grossartig fand ich, wie es die jüngste Tochter meines Mannes gemacht hat. Noch vor einer ersten Schwangerschaft fragten sie und ihr Partner uns, ob wir bereit wären, regelmässig Kinder zu hüten. Dazu wollten wir uns nicht verpflichten, auch wenn unser Haus natürlich immer für sie offen ist. Ich fand es toll, dass sich die beiden so früh mit dieser Frage auseinandergesetzt haben und wir in einem offenen Gespräch alles klären konnten. 

Barbara Gurtner: Die Care-Arbeit ist ein wichtiges Thema in der GrossmütterRevolution. Studien zeigen, wo Frauen überall Gratis-Arbeit leisten für die Gesellschaft, auch in der Pflege. Was ich in der Coronapandemie erlebe ist, dass Frauen wieder vermehrt in ihre traditionelle Rolle zurückgedrängt werden, indem sie zum Beispiel Kinder hüten und unterrichten oder Angehörige versorgen. Gleichzeitig ist es für viele Männer heute selbstverständlicher, ebenfalls Betreuungsarbeit zu übernehmen. 

Rosmarie Brunner: Es geht uns nicht nur um die Anerkennung der Arbeit, die Frauen leisten. Wir setzen uns für neue Rollenbilder ein, und davon profitieren auch die Männer. Sie wollen ja nicht immer die Rolle des Ernährers übernehmen, sondern auch neue Lebensmöglichkeiten haben. 

Wofür engagieren Sie sich sonst noch in der GrossmütterRevolution?

Barbara Gurtner: Für gleiche Renten. Je tiefer die Löhne, desto tiefer sind die Renten – das ist für meine Generation ein grosses Thema. Wir konnten damals nicht einmal einer Pensionskasse beitreten, ohne einen gewissen Mindestlohn zu haben. Das machte für Frauen mit tiefen Löhnen sehr viel aus. Und genau deshalb ist es so wichtig, dass alle für die gleiche Arbeit den gleichen Lohn erhalten. Dafür gehe ich noch heute auf die Strasse – auch mit meinen Töchtern und Grosskindern. 

Rosmarie Brunner: Gerade die Coronapandemie zeigt, wie wichtig das Thema Lohn ist. Im vergangenen Frühling haben wir ein bisschen geklatscht, aber de facto haben jene, die schauen, dass der Laden läuft, tiefe Löhne und dazu noch ein viel grösseres Risiko, angesteckt zu werden. Das ist eine Frechheit. Und natürlich ist mir auch die feministische Theologie wichtig. Früher als Pfarrerin, in jeder Predigt und in jeder Unterrichtsstunde mit Jugendlichen, war mir dieser Blickwinkel wichtig. Auch heute als freie Theologin ist es für mich selbstverständlich, mich in der konkreten Arbeit feministisch zu engagieren. 

Die GrossmütterRevolution gibt es seit bald elf Jahren, Sie waren von Anfang an dabei. Was hat sie bewirken können? 

Barbara Gurtner: Ältere Frauen haben in der Gesellschaft ein neues Selbstbewusstsein entwickelt. Heute stehen wir hin und sagen: Ja, wir sind alte Frauen. Und wir engagieren uns für politische Anliegen und die Solidarität zwischen Generationen. Diese Bewegung war bei der Gründung neu und hat inzwischen ganz viele Frauen erfasst. Und ich stelle fest, dass die Meinung von uns älteren Frauen zählt. Wir sind begehrte Gesprächspartnerinnen und werden immer wieder für verschiedene Engagements angefragt. 

Was wollen Sie künftigen Grossmüttern mit auf den Weg geben? 

Barbara Gurtner: Dass es wunderbar ist, zusammen etwas anzupacken, zu diskutieren und etwas entstehen zu lassen. «Alt sein» bedeutet nicht einfach grau und «weg vom Fenster». Wir sind immer noch aktiv und wollen die Zukunft mitgestalten.  

Rosmarie Brunner: Wir sind keine verbitterten alten Socken, im Gegenteil. Wir sind ein lebenslustiger Klub. Wenn das jüngere Frauen sehen, kann das schon Wunder wirken!

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  • Rosmarie Brunner (62) ist seit elf Jahren freischaffende Theologin und Seelsorgerin. Davor war sie 25 Jahre lang als reformierte Pfarrerin tätig. Sie lebt mir ihrem Mann in Basel und hat fünf «angeschmuuste» Enkelkinder. 
  • Barbara Gurtner (77) ist Erwachsenenbildnerin. Lange Zeit engagierte sie sich politsch, unter anderem im Nationalrat und im Berner Stadt-und Kantonsparlament. Sie ist Mutter zweier Töchter, hat fünf Enkelkinder und lebt in Bern. 

*Die GrossmütterRevolution versteht sich als Think Tank, Netzwerk und Plattform der heutigen Grossmüttergeneration. Sie veranstaltet öffentliche Tagungen und führt eine Vielzahl von selbstorganisierten Arbeitsgruppen. Im Fokus stehen gesellschaftsrelevante Themen und Anliegen zum Alter, Frausein und Generationen. Es sind alle Frauen willkommen, unabhängig davon, ob sie biologische Grossmütter sind oder nicht. http://www.grossmuetter.ch 

Interview: Andy Hochstrasser, Berner Generationenhaus | Foto Rosmarie Brunner: ZVG / Foto Barbara Gurtner: Susanne Keller

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