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Wie Altersbilder und Stereotypen die Stadtentwicklung prägen

Altersbilder und Stereotypen prägen unser Denken und unser Verhalten – auch in der Quartiers- und Stadtentwicklung. Partizipation kann diese korrigieren.

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Foto: Amt für Alter und Gesundheit, Stadt Frauenfeld

Altersbilder von älteren Menschen sind individuelle sowie auch gesellschaftlich geteilte Vorstellungen vom Alter und vom Älterwerden. Damit hat jede und jeder von uns Altersbilder verinnerlicht, auch wenn wir uns dessen meistens nicht bewusst sind. Altersbilder von allen Lebensaltern können positiv wie auch negativ behaftet sein – und sich manchmal widersprechen. So wird beispielsweise das Älterwerden sowohl mit der Zunahme an körperlichen und geistigen Einschränkungen als auch mit grosser Erfahrung und Besonnenheit in Verbindung gesetzt. Diese verschiedenen Altersbilder prägen unsere Wahrnehmungen, unser Denken und unser Verhalten und somit die Art und Weise wie wir handeln und interagieren – auch im Kontext von Quartiers- und Stadtentwicklung.

Altersbilder beeinflussen die Stadtentwicklung

Fachpersonen der Raum- und Landschaftsplanung, Architektur, Quartiers- und Stadtentwicklung, Soziale Arbeit, Alten-, Sozial- und Stadtpolitik etc.  sind die zentralen Akteurinnen und Akteure, wenn es um die Planung und Entwicklung von altengerechten Wohn- und Quartierskonzepten geht. Denn sie sind es, die über die Ausgestaltung der Quartiere, Siedlungen, öffentliche Plätze etc. sowie von Angeboten und Dienstleistungen in städtischen Räumen (mit)entscheiden. Zum Teil werden auch ältere Menschen in Planungsprozessen von altersbezogenen Projekten miteinbezogen, die Entscheidungsmacht obliegt allerdings oftmals den Expertinnen und Experten. Daher stellt sich die Frage, ob und welche Bilder über das Alter sowie Vorstellungen über das Leben im Alter und das Älterwerden von Seiten Fachpersonen in die Entwicklung von altengerechten Lebensräumen einfliessen. Welche Herausforderungen sich hierbei ergeben und wie die Teilhabe älterer Menschen am sozialen Leben mittels einer adäquaten und reflektierten, alterssensiblen Quartiersentwicklung gefördert werden kann.

Überdenken von unreflektierten Stereotypen und Altersbildern

Ein Forschungsprojekt der Hochschule für Soziale Arbeit FHNW ist genau diesen Fragestellungen vor kurzem nachgegangen. Als Fallbeispiele wurden zum einen ein intergeneratives Bewegungsförderungsprojekt und zum anderen die Entwicklung eines neuen Stadtplatzes in der Nähe eines Alterszentrums untersucht. Das gewählte Untersuchungsfeld ist deshalb von Relevanz, da dem unmittelbaren Wohnumfeld, sprich dem Quartier, aufgrund des gesellschaftlichen Wandels und der demographischen Entwicklung eine grosse Bedeutung beigemessen wird. Hier findet der Ort des täglichen Lebens statt, verschiedene soziale und kulturelle Angebote und Dienstleistungen sind verfügbar, soziale Teilhabe ist möglich und soziale Unterstützung kann erfahren werden.

Die Forschungsergebnisse zeigen, dass Altersbilder (auch altersbezogene Stereotype genannt) oftmals unreflektiert in die Planung und Entwicklung von altengerechten Lebensräumen einfliessen und dass Expertinnen und Experten ältere Menschen häufig als homogene und fragile Gruppe wahrnehmen. So werden ältere Menschen beispielsweise als Menschen mit «körperlichen Einschränkungen» oder als «Menschen, die langsam in Richtung Demenz gehen» gesehen und beschrieben. Aber auch Themen wie «Gleichgewichtsprobleme», «Gehschwierigkeiten» und «mangelnde soziale Begegnungen» werden besonders häufig mit älteren Menschen in Verbindung gebracht. Diese altersbezogene Stereotype zeigen sich wiederum in der Planung und Entwicklung von altengerechten Wohn- und Quartierskonzepten.

Differenzierte Altersbilder werden «zugunsten» einer einheitlichen Planung aufgelöst

In anderen Worten, Expertinnen und Experten schreiben älteren Menschen spezifische Bedarfe zu (ältere Menschen möchten sich hinsetzen können, Kindern beim Spielen zuschauen, Blumen anschauen, etc.) und entwickeln auf Basis dieser Zuschreibungen Massnahmen. So werden beispielsweise Handläufe und Sitzbänke als wichtige Planungselemente für die Entwicklung von altengerechten Lebensräumen gesehen – und genau hier liegt die Herausforderung. Denn obwohl die Expertinnen und Experten älteren Menschen in Bezug auf das Quartier unterschiedliche Bedürfnisse und Anforderungen zusprechen, wird dieser Widerspruch zwischen einseitigen (homogenen) und differenzierten Altersbilder «zugunsten» einer einheitlichen Planung, also für eine Planung, die für alle Altersgruppen gelten soll, aufgelöst.

Altersgerecht bedeutet mehr als «barrierefrei»

Handläufe und Sitzbänke per se sind nicht schlecht und können für andere Altersgruppen ebenfalls von Vorteil sein. Problematisch wird es jedoch dann, wenn durch diese einseitige Sichtweise auf ältere Menschen als fragile Gruppe verpasst wird, nach weiteren Lösungen und Möglichkeiten zu suchen. Es steht ausser Frage, dass sich viele ältere Menschen bei der Planung und Entwicklung von altengerechten Lebensräumen Handläufe und Sitzbänke wünschen. Dagegen ist auch nichts einzuwenden. Dennoch geht es im Sinne einer adäquaten und reflektierten, alterssensiblen Quartiersentwicklung darum, möglichst allen Bedürfnissen und Anliegen von älteren Menschen gerecht zu werden – schliesslich bedeutet «altersgerecht» weit mehr als «barrierefrei». Der Fokus sollte somit nicht nur auf Probleme, Defizite und Grenzen liegen, sondern auch auf Ressourcen und Potenziale von älteren Menschen gerichtet sein.

Schlussfolgerungen und Empfehlungen

  • Das Alter ist sehr divers und die Vielfalt an Lebensstilen und Lebenslagen wird in Zukunft weiter zunehmen, auch im Alter. Dies wird in der Planung und Entwicklung von altengerechten Lebensräumen noch nicht ausreichend gewürdigt respektive kann aufgrund von Normen und gesetzlichen Richtlinien nur teilweise berücksichtigt werden. Es müssen daher aus Sicht einer adäquaten und reflektierten, alterssensiblen Quartiersentwicklung (1) Kompromisslösungen zwischen planungsbezogenen Richtlinien und zielgruppenorientierten Anliegen und Bedürfnisse gefunden werden, die der Vielfalt im Alter besser gerecht werden.
  • Altersbezogene Stereotype kommen auch im Kontext von Quartier- und Stadtentwicklung vor. Sie fliessen in unser Denken und Handeln und somit auch in die Planung und Entwicklung von altengerechten Lebensräumen. Daher ist es von Bedeutung, (2) ein Bewusstsein für das Vorhandensein von altersbezogenen Stereotypen zu entwickeln, (3) die eigenen Vorstellungen vom Alter, vom Älterwerden und von älteren Menschen zu kennen und (4) die Vielfalt des Alters anzuerkennen, um geeignete Lösungen zu finden. Denn die Zukunft des Alters und des Älterwerdens wird massgeblich durch altersbezogene Stereotype bestimmt werden.
  • Altersbilder können zu Ungleichbehandlungen von älteren Menschen und sogar zu Diskriminierung führen. Vor allem dann, wenn Zuschreibungen und Verallgemeinerungen auf Grundlage von eigenen Annahmen und Vermutungen erfolgen. Erst durch den (5) aktiven Einbezug von älteren Menschen in die Planung und Entwicklung von altengerechten Wohn- und Quartierkonzepten kann ein Beitrag zur gesellschaftlichen Integration von älteren Menschen geleistet werden.
  • Ältere Menschen werden nur sehr selten in die Planung und Entwicklung von altenbezogenen Projekten einbezogen. Als Grund wird oftmals fehlende Zeit, mangelnde Ressourcen, kein Interesse von Seiten älteren Menschen etc. konstatiert. Dabei ist Partizipation wichtig, um überhaupt (6) die Bedürfnisse, Ressourcen, Möglichkeiten, Einschränkungen etc. von Menschen zu kennen. Partizipation im Sinne von Mitbestimmung ist folglich trotz Mehraufwand ein erfolgsversprechender Ansatz – auch im Kontext von altengerechten Wohn- und Quartierkonzepten.
  • Grundsätzlich gilt bei der Umsetzung von partizipativen Verfahren: Auch das in Erfahrung bringen von Meinungen und Ansichten oder das Informieren über anstehende Entscheidungen ist wertvoll und wesentlich besser, als gar nicht zu beteiligen. Zwar kann dann noch nicht von Partizipation im eigentlichen Sinne die Rede sein, jedoch können die positiven Erfahrungen mit den Vorstufen der Partizipation dafür genutzt werden, um den Grad der Mitbestimmung allmählich zu erhöhen.

Ein Blogbeitrag von Sandra Janett, MA und Prof. Carlo Fabian, Institut Sozialplanung, Organisationaler Wandel und Stadtentwicklung, Hochschule für Soziale Arbeit, Fachhochschule Nordwestschweiz (FHNW)

Weitere Informationen und Links zu Altersbilder in der Stadtentwicklung:

  • Das Forschungsprojekt mit dem Titel «Connecting elderly people to urban life: Towards a better understanding of ageing in place by rethinking stereotypes» wurde vom Schweizerischen Nationalfonds (SNF) finanziert und während der aktiven Beteiligung an dem EU-Forschungsprojekt COST Action IS1402 «Ageism – a multinational, interdiciplinary perspective» durchgeführt.
  • Eine kürzlich erschienene Fachpublikation zum Forschungsprojekt kann kostenlos heruntergeladen werden.
  • Ein Beispiel für ein Partizipationsprojekt von Städten bzw. Gemeinden ist “AWIQ – Älter werden im Quartier” der Stadt Frauenfeld (Kanton Thurgau).
  • Eine Arbeitshilfe für die Partizipation bei der Gestaltung des öffentlichen Raums (d/f) von ZORA – Zentrum öffentlicher Raum.
2 Kommentare

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    Die Personen im Alter haben gar keine Wahl. Die Einrichtung für eine Person bei der Stadt Zürich kostet mindestens 4000.00 CH im Monat. Muss vom Sozialhilfegesetzt übernommen werden, weil dies ja gar nicht möglich ist für eine Person ohne Reserven. Dazu kommt noch, dass keine Eigenleistungen gewährt werden und die Freiwilligenarbeit auch keine Vergünstigung darstellt. Nur holen kann gar nicht mehr funktionieren. Bitte reden wir gemeinsam darüber und bilden eine Gruppe im Sozialhilfegesetz und deren Anwendung direkt in der Verursacherebene. Jeder sollte eine Patientenverfügung erstellen und so ganz klar mit der Entscheidung im Alter konfrontiert werden.

    Wohn- und Quartierkonzepte müssen unbedingt intergenerativ diskutiert und konzipiert werden. Altersbedingte Wohnorte wie Altersheime und Kinderkrippen/Schulen müssen sich öffnen und beginnen, generativ integriert zu arbeiten. Alte Menschen wollen nicht isoliert in Altersheimen aufs Sterben warten.

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