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Potenziale und Grenzen von Generationenprojekten Teil 2

Ines Findenig setzt sich in ihrer Doktorarbeit mit dem sozialen Phänomen der Generationenprojekte auseinander. In einem Interview für Intergeneration gibt sie sowohl für die Akteure und Akteurinnen als auch für die interessierte Öffentlichkeit eine grundsätzliche sozialwissenschaftliche Einführung und zeigt Einflusspotenziale auf die Generationensolidarität und den sozialen Zusammenhalt in der Gesellschaft. Sie spricht auch den Einfluss populärer Mythen in den Generationenbeziehungen an.

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Foto: Generationenprojekt des Kindergartens und des Alterspflegezentrums in Diepoldsau 

Das Interview mit Ines Findenig über Generationenprojekte Teil 2

Zum Interview Teil 1 

An Generationenprojekten ist gesellschaftlich neu und relevant, dass diese vor allem im ausserfamiliären Bereich der Generationenbeziehungen agieren. Was bedeutet dies für den sozialen Zusammenhalt der Gesellschaft?

Es ist wichtig, zwischen ausser- und innerfamiliären Generationenbeziehungen zu unterscheiden.  Der ausserfamiliäre Kontext ist ein wesentliches Merkmal und eine besondere Stärke von Generationenprojekten, gerade im Hinblick auf den sozialen Zusammenhalt. Zwar werden wir alle von den Bildern unserer eigenen Grosseltern beeinflusst, jedoch lassen sich diese nicht 1:1 auf Generationenprojekte übertragen. Stellen wir uns bitte kurz vor, wie wir mit unseren eigenen Grosseltern agieren und im Gegenzug dazu, wie sich ein Kontakt mit einer nicht-familiären Person im gleichen Alter gestaltet. Die Ausgangsbasis der Begegnung ist eine andere. Die emotionale Bindung im Familienverband kann – muss aber nicht – stark ausgeprägt sein. Familiäre Verstrickungen beeinflussen die Wahrnehmung. Es können sich auch andere Handlungsmuster eingespielt haben und aktiv werden. Die familiären Beziehungen können daher nicht 1:1 übernommen werden. Dies bedeutet gleichzeitig, dass es einen zu leistenden Aufwand bedeutet, die neuen Beziehungen zu gestalten, da es keine Familienpassform im Vorhinein gibt. Demnach braucht es neben dem Wissen, dass es Unterschiede zum familiären Generationenbild gibt, das Engagement und die Motivation der teilnehmenden Personen bei Generationenprojekten, aktiv in einen gegenseitigen Austausch zu treten. Es braucht hier ein aktives Bewusstmachen, dass es andere Beziehungen sind und ein bewusstes Bearbeiten von subjektiven Bildern und Rollen. Die Teilnahme an einem Generationenprojekt kann auch ein Beitrag und gleichzeitig eine Chance zur gesellschaftlichen Teilhabe darstellen und die Augen für andere Sichtweisen eröffnen. Ausserfamiliäre Beziehungen können zwischen verschiedenen Generationen eine wichtige Ergänzung, aber keinen generellen Anspruch auf Ersatz für familiäre Generationenbeziehungen darstellen.

Neue ausserfamiliäre Netzwerke durch Generationenprojekte für den sozialen Zusammenhalt   

Für eine Gesellschaft bedeutet dies, dass neue Netzwerke entstehen können und Menschen aktiver in Beziehung miteinander treten. Damit kann die gesellschaftliche Chance erhöht werden, dass ein gemeinsames Bild von Generationensolidarität geschärft und gelebt werden kann. Solidarisch leben und gestalten steht als nachhaltiges Ziel von Generationenprojekten im gesellschaftlichen Fokus und sollte in den Vordergrund von medialen Debatten stehen. 

 

Sie sprechen auch von Mythen und von empirisch widerlegten Diskursen, die sich bei Generationenbeziehungen hinderlich auswirken. Können Sie uns hier die wichtigsten Beispiele nennen?

Ein relativ anschauliches Beispiel hierzu ist der oft diskutierte Schwund der Generationensolidarität. In Medien ist oftmals zu lesen, dass es keine Solidarität mehr zwischen den Generationen geben soll und folglich ein Krieg oder Konflikt der Generationen drohe. Hier werden aber verschiedene Ebenen miteinander vermischt und durcheinandergebracht. Beginnen wir bei der Generationensolidarität, welche sich auf gesellschaftlicher Ebene tendenziell eher schwierig und komplex empirisch messen lässt. Auf familiärer Ebene zeigt sich die Messung der Generationensolidarität jedoch ganz klar anhand von Transferleistungen. Wissenschaftlich nachweisbar geschieht auf dieser Ebene eher das Gegenteil. Es ist deutschen Forschern und Forscherinnen (siehe u.a. Kohli/Szydlik 2000) gelungen nachzuweisen, dass es in Familien einen klaren Anstieg der Generationensolidarität gibt. Die Transferleistungen sind in den letzten Jahren nicht weniger geworden, sondern haben sich nur in einer anderen Form, und zwar im Sinne einer „inneren Nähe bei äusserer Distanz“ modifiziert. Dies meint, dass Familien heutzutage zwar weiter auseinanderwohnen, sich die Kontakte und Transferleistungen jedoch intensiver gestalten als in vergangenen Jahren. Folglich lässt sich zumindest für den familiären Bereich kein Schwund an Generationensolidarität erkennen. Im ausserfamiliären lässt sich dies wie schon erwähnt schwerer messen, jedoch sprechen u.a. die stets ansteigenden Beteiligungszahlen im freiwilligen Engagement generell– zumindest für Österreich – für keinen Stillstand oder Schwund, sondern eher im Gegenteil. Menschen engagieren sich in den verschiedensten Bereichen für andere Menschen und Themen, darin lässt sich der Wunsch nach sozialer Teilhabe und somit nach einem In-Beziehung-Treten ablesen.

Mythos Generationenkonflikt 

Der oft plakativ verwendete Begriff Konflikt bzw. Krieg zwischen den Generationen lässt sich klar als ein mediales, auf einer Metaebene abspielendes und militarisiertes Zuspitzen von pensionstechnischen Verhandlungen und Entwicklungen fernab von jeglicher Realität enttarnen. Aktuelle Entwicklungen wie z.B. die weltweite Bewegung junger Menschen für den Klimaschutz #fridaysforfuture, sehe ich als eine Art von Sichtbarmachen für die Anliegen ihrer und nachfolgender Generationen, jedoch nicht als Konflikt gegen andere. Auf persönlicher Ebene scheint es schon eher nachvollziehbar, dass Generationen – besonders auch im familiären Kontext – miteinander streiten. Dass sich verschiedene Generationen aufgrund unterschiedlicher Lebenswelten, Gegebenheiten, gesellschaftlichen Entwicklungen, etc. nicht immer gut verstehen und eine auf die andere nicht gut zu sprechen ist, hat schon viele Generationen vor uns beschäftigt und wird es auch noch die zukünftigen tun – da es zum menschlichen Sein gehört, dass es andere Weltanschauungen gibt. Jedoch kann hier nicht von einem Krieg gesprochen werden. 

In Generationenprojekten sollte es gerade möglich sein, solche Konflikte anzusprechen. Altersbilder und Stereotype eignen sich dazu besonders gut, da im Zuge dessen auch die Self-Other-Diskrepanz bearbeitet werden kann. Dies meint, dass eine Diskrepanz darin besteht, wie sich Personen selbst und z.B. gleichaltrige Personen wahrnehmen. Erkennbar ist dies beispielsweise an dem Satz „…die sind ja alle hormongesteuerte Jugendliche, ich aber nicht“. Durch offene Kommunikation kann der Mythos folglich – auch mit Humor – aufgedeckt werden.

Mythos Generationenromantik

Ein weiteres Beispiel für einen Mythos rund um Generationen ist die sog. Generationenromantik. Diese kann so beschrieben werden, dass, wenn von Projekten für Generationen gesprochen wird, ein sehr romantisierendes Bild der Begegnung gezeichnet wird. Als ob es immer harmonisch und lustig zugeht, und Generationenprojekte nur positive Wirkungen haben. Durch eine solche überpositivierte Sicht, der Ausblendung von Herausforderungen und Problemen, und auch auf den Verzicht von realen Altersbildern und -rollen geht leider die Chance, sich weiterzuentwickeln – ob als teilnehmende Person oder als Projekt generell – verloren. Gleichzeitig steigen die Erwartungen an Generationenprojekte in eine Höhe, die kaum erfüllbar scheinen. Mein Tipp: Realistische Ziele und Erwartungen, sowie auch ein pragmatisches und humorvolles Umsetzen und Gestalten von Generationenbegegnungen.

 

Was würden Sie selbst für Massnahmen auf den verschiedenen Ebenen ergreifen, damit Generationenprojekte für die Gesellschaft optimal wirken können?

Es ist unumgänglich, den Weg für nachhaltige soziale Teilhabe aller Altersgruppen zu ebnen und einzuschlagen, und das auf verschiedenen Ebenen – hier ist auch ganz konkret die Politik am Zug.

Generationensolidarität nur durch aktives Miteinander 

Um hier exemplarisch einige Ideen und Vorschläge zu nennen: Der längst notwendige Ausbau der Kinderbetreuung – auch in gut durchdachter inhaltlicher Kombination mit Altersresidenzen – ist genauso dringlich, wie eine finanzielle langfristige Unterstützung für Generationenprojekte zu entwickeln. Studien belegen, dass ein aktives Miteinander viele gegenseitige Vorurteile mindert und folglich solidarische Gesellschaften und soziale Teilhabe fördert.

Generationenlobbying entwickeln

Ebenso dringlich ist der Ausbau von partizipativen Angeboten Sozialer Arbeit für die Zielgruppe älterer alleinlebender Personen sowie ein Ausbau eines Generationenlobbyings. Gesamtgesellschaftlich braucht es eine generelle Sensibilisierung für differenzierte Altersbilder – von jungen Menschen genauso wie vom Alter – dies könnte gut mit dem Ausbau von nachhaltig finanzierten und gut begleiteten Generationenprojekten einhergehen. 

Dies sind nur einige Vorschläge, denn die Liste mit Vorschlägen und Massnahmen ist noch lange nicht fertig. Es heisst dran zu bleiben und sich aktiv für Generationenbegegnungen auszusprechen – denn darin werden mir viele Teilnehmer und Teilnehmerinnen sowie Projektleitungen sicherlich Recht geben – Generationenprojekte sind ihre Mühe wert und machen eine Menge Spass. 

 

Ines Findenig promovierte an der Universität Graz am Institut für Erziehungs- und Bildungswissenschaften im Fachbereich Sozialpädagogik und arbeitet nun u.a. in der sozialwissenschaftlichen Praxisforschung für Kinder und Jugendliche sowie in der Teilhabeforschung für ältere Menschen. 

Das Interview fand im Juni 2019 statt. Die Fragen stellte Monika Blau, Intergeneration.

 

Foto: Generationenprojekt des Kindergartens und des Alterspflegezentrums in Diepoldsau 

 

Links: 

 

Zum Interview Teil 1

 

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