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Potenziale und Grenzen von Generationenprojekten Teil 1

Ines Findenig setzt sich in ihrer Doktorarbeit mit dem sozialen Phänomen der Generationenprojekte auseinander. In einem Interview für Intergeneration gibt sie sowohl für die Akteure und Akteurinnen als auch für die interessierte Öffentlichkeit eine grundsätzliche sozialwissenschaftliche Einführung, zeigt Potenziale und Grenzen von Generationenprojekten auf und formuliert Empfehlungen, wie Generationenprojekte gelingen können.     

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Foto: Generationenprojekt Foto-Generationen-Dialog mit der Projektverantwortlichen Nathalie Danja Streit (rechts) von NA-DA Projekte

Das Interview mit Ines Findenig über Generationenprojekte Teil 1

Sie haben sich in Ihrer Dissertation grundsätzlich mit dem Phänomen der Generationenprojekte auseinandergesetzt und zudem Potenziale wie auch Grenzen näher analysiert. Was sollte jede und jeder heute über Generationenprojekte wissen?

Generationenprojekte sind Begegnungsorte, wo es die Möglichkeit gibt, unterschiedliche Generationen zu treffen, um Stereotype aufzubrechen, Vorurteilen entgegenzuwirken, neue Sichtweisen kennen zu lernen sowie mit-, von- und übereinander zu lernen und auch Beziehungen aufzubauen. Neben der Chance, soziale Teilhabe bei allen Beteiligten zu fördern – egal, welches Alter die teilnehmende Person hat – steht bei Generationenprojekten der Spass am gemeinsamen Miteinander im Vordergrund. 

Generationenprojekte sind soziale Bildungsprojekte 

Generationenprojekte können als soziale, persönlichkeitserweiternde und partizipative Bildungsprojekte verstanden werden, in welchen Individuen als Experten und Expertinnen ihrer eigenen Lebenswelt wahrgenommen werden und gemeinsam mit anderen Individuen eine bewusste Reflexion und Auseinandersetzung des Gemeinsamen, aber auch des Unterschiedes und der Ambivalenzen ermöglicht wird. Dadurch kann eine Sensibilisierung für andere Lebensalter und andere Lebenslagen hergestellt bzw. angestossen werden. Auf gleicher Augenhöhe haben unterschiedliche Generationen die Chance, sich selbst und andere kennenzulernen und zu schätzen, wodurch auch Empathie gefördert werden kann.  

Generationenprojekte bieten Chancen für alternative Generationenrollen     

Eine weitere Besonderheit bei Generationenprojekten ist der Fakt, dass es sich hierbei um ausserfamiliäre Generationenbeziehungen handelt, welche sich nicht 1:1 von familiären Beziehungen übertragen lassen. Die Projekte können diese zwar nicht ersetzen, aber ganz gut ergänzen. Sie bieten die Chance mittels konkreten Ansprechens von Differenzen oder Ambivalenzen neue Generationen- und Altersbilder kennen zu lernen sowie auch alternative Generationenrollen zu erleben. Dies ermöglicht gleichzeitig die eigene(n) Rolle(n) zu reflektieren. Generationenprojekte bieten damit ein Vielfaches an sozialen Chancen auf unterschiedlichen Ebenen – für Individuen genauso wie auch für unsere Gesellschaft.  

Demografischer Wandel: Generationenprojekte bieten Lösungspotenzial

Generationenprojekte können einen wesentlichen Beitrag zur gesellschaftlichen Weiterentwicklung leisten. Im Kontext des demografischen Wandels bieten sie wesentliche Impulse, welche für alle teilnehmenden Personen und auch darüber hinaus für unterschiedliche Netzwerke notwendig sind. Sie können präventiven Nutzen und nachhaltige Sensibilisierungen hervorrufen, wie auch zivilgesellschaftliche und soziale Teilhabe – auch besonders im Kontext der Generationengerechtigkeit – fördern. Der Wunsch danach als Individuum Spuren in der Welt zu hinterlassen – auch Generativität genannt – eröffnet bei vielen auch den Wunsch im ausserfamiliären Bereich aktiv zu werden. Dahingehend bieten Generationenprojekte eine gute Basis, als Sprachrohr für die Generationen zu fungieren. Dies gilt jedoch nicht nur für ältere Personen. Es gilt darauf zu achten, alle teilnehmenden Personen – also alle Generationen – gleichwertig und auf Augenhöhe wahrzunehmen und auch die unterschiedlichen Lebenssituationen anzunehmen. 

Altersbilder durch Generationenprojekte auf dem Prüfstand 

Als klares Potential von Generationenprojekten zeigt sich das offene Ansprechen von Altersbildern und Altersstereotypen und gegebenenfalls auch das Reflektieren und Bearbeiten. Weiters ist die Ergänzung von familiären um ausserfamiliären Alltagsbegegnungen der Generationen, welche aufgrund von Berufstätigkeit, Institutionalisierung oder anderen Gründen eher selten passieren können, auch ein besonderer Vorteil von Generationenprojekten. 

Risiken und Grenzen von Generationenprojekten 

Generationenprojekte haben es sozusagen in sich – es gibt aber auch Grenzen. Wenn unterschiedliche Generationen miteinander in Verbindung treten, entsteht immer etwas Neues. Dieses Neue muss nicht immer harmonisch sein, es kann auch langweilig oder auch explosiv sein. Es kann alte Muster und Erinnerungen hervorbringen, es kann diese Muster verändern, es kann Stereotype aufbrechen, aber genauso auch verfestigen. Man weiss eigentlich vorher nie genau, was ein Generationenprojekt mit den Teilnehmenden oder mit den Projektverantwortlichen macht. Generationenprojekte sind nicht immer einfach, bieten aber eine interessante Bühne für spannende oder aber auch gewöhnliche Begegnungen – wichtig ist es, dass es zu Begegnungen kommt, um Austausch zu ermöglichen und folglich in Beziehung treten zu können. 

 

Und welche Ihrer Forschungserkenntnisse sollten bei den Projektverantwortlichen bekannt sein? 

Familiäre Rollenbilder in ausserfamiliären Generationenprojekten 

Ein Generationenprojekt planen und durchführen – das hört sich erstmal einfach an, ist es aber bei genauem Betrachten nicht ganz. Aber ich kann Ihnen sagen, dass es sich definitiv lohnt. Wichtig ist hierbei zu beachten, dass es bisher kaum Rollenvorbilder bzw. Vorbilder für ausserfamiliären Generationenbeziehungen gibt. Das naheliegende Überstülpen von familiären Mustern und Bildern kann einschränkend sogar hemmend wirken. Deshalb ist es wichtig, die teilnehmenden Personen als Individuen mit spannenden Biografien und als Experten und Expertinnen ihrer eigenen Lebenswelt wahrzunehmen. Dadurch werden auch Unterschiede und Ambivalenzen der Personen und Biografien sowie auch Lebensalter sichtbar. In der Forschung hat sich klar gezeigt, dass ein offenes Ansprechen von Unterschieden ein sogenannter Eisbrecher sein kann. Eine gute Basis für das Aufbauen von Beziehungen.

Als weiteres Ergebnis zeigt sich ein Risiko darin, dass bei Generationenprojekten ein unbeabsichtigtes Verstärken der Dichotomie von Jung und Alt entstehen kann – und folglich auch von Schubladisierungen. Eine Lösung könnte hier sein, bei Gruppenaktivitäten die Personen heterogen zu mischen.

Generationenprojekte erfordern Fachlichkeit und Reflexion

Ein weiteres Ergebnis aus meinem Forschungsprojekt ist auf jeden Fall die Notwendigkeit, dass Generationenprojekte fachlich und professionell begleitet werden. Dies meint u.a. das Reflektieren des eigenen Altersbildes, das Hinterfragen des derzeit vorherrschenden Altersfokus beim Thema Generationen, ein bewusstes Vermeiden der Instrumentalisierung von Altersgruppen etc. Es bedeutet eigentlich, als projektverantwortliche Person bildlich gesprochen eine Generationenbrille aufzusetzen, mit der gesorgt wird, dass ein sicherer Ort hergestellt wird, an dem sich unterschiedliche Generationen auf Augenhöhe begegnen können

Großer Forschungsbedarf zu Generationenprojekten

Da die bisherige Forschung zum Thema Generationenprojekte eher überschaubar ist und noch kaum aus der Perspektive der Jugendforschung geschieht, wünsche ich mir, dass bei zukünftigen Forschungen wirklich alle Generationen berücksichtigt und damit der eher dominierende Altersfokus minimiert wird. Durch meine Dissertation wurde hier ein erster Schritt gesetzt, auch Kinder und Jugendliche in den Fokus zu rücken und ihnen als bisheriges Stiefkind der Generationenprojekte eine Hauptrolle zuzuweisen. Es fehlt bislang ebenso an einer Evaluationskultur in den Projekten. Die Fragen nach Wirksamkeit, Erreichen der Ziele, Nachhaltigkeitsgesichtspunkte etc. sind wenig projektbezogen und weit entfernt von strukturellen Antworten. Hier besteht noch Handlungsbedarf.  

Neben dieser generellen Notwendigkeit des wissenschaftlichen Erkenntnisausbaus und der finanziellen, nachhaltigen und sozialpolitischen Unterstützung zur Weiterentwicklung von Generationenprojekten ist auch eine Sensibilisierung der Gesellschaft für inter­generatives Begegnen und Engagement im ausserfamiliären Kontext dringlich – auch besonders im Hinblick auf multigenerationale soziale Teilhabe. 

Empfehlungen für die Praxis in Generationenprojekten 

Abgesehen vom generellen Sensibilisierungsbedarf ist es wichtig, für Projektverantwortliche ein paar Aspekte schon in der Planungsphase zu beachten. Neben dem schon erwähnten Aufsetzen der „Generationenbrille“ ist es u.a. auch wichtig, die Themen Multigenerationalität, Stereotype, Generativitätsbedürfnis, die Differenz zwischen inner- und ausserfamiliär, Rollen, Lebenslagen und Altersbilder etc. zu reflektieren und kritisch zu betrachten. Weitere wichtige eher allgemein gehaltene Erkenntnisse sind u.a.: 

  • Interdisziplinäre neue und unerwartete Kooperationen einzugehen und aktiv zu leben 
  • Interdisziplinäre Teams und geteilte Verantwortungen zu forcieren 
  • Realistische Ziele zu setzen und auch zu messen – Evaluationen von Anfang an zu planen 
  • Lobbyarbeit für Generationenprojekte zu forcieren 
  • Lebenswelten wahrzunehmen und Teilnehmende als Expertinnen und Experten ihrer Lebenswelt und Erfahrungen wahrzunehmen – Menschen auf Augenhöhe begegnen und partizipativ in die Projekte mitwirken zu lassen
  • Teilnehmende gut vorzubereiten sowie gut und konsequent zu begleiten 

 

Ines Findenig promovierte an der Universität Graz am Institut für Erziehungs- und Bildungswissenschaften im Fachbereich Sozialpädagogik und arbeitet nun u.a. in der sozialwissenschaftlichen Praxisforschung für Kinder und Jugendliche sowie in der Teilhabeforschung für ältere Menschen.

Das Interview fand im Juni 2019 statt. Die Fragen stellte Monika Blau, Intergeneration. 

 

Foto: Generationenprojekt Foto-Generationen-Dialog mit der Projektverantwortlichen Nathalie Danja Streit (rechts) von NA-DA Projekte

 

Links:

 

Zum Interview Teil 2

 

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