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Interview zum Dialog der Generationen: «Stop talking, start planting»

Sie fördern seit mehr als 10 Jahren im Auftrag der Bundesregierung den Generationendialog in Deutschland mit dem «Netzwerk der Generationen». Ein Interview mit Volker Amrhein vom Projektebüro Dialog der Generationen, Berlin. Die Fragen stellten Monika Blau und Natascha Wey.

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Sie fördern seit mehr als 10 Jahren im Auftrag der Bundesregierung den Generationendialog in Deutschland mit dem «Netzwerk der Generationen». Wie hat sich Ihre Arbeit im Verlauf der Jahre entwickelt und wo sehen Sie heute Ihre Schwerpunkte in der Förderung?
«Per aspera ad astra.» Ein Hand voll Projekte oder sagen wir dreissig Mal fünf Hände voll Projekte – 150 waren es am Anfang – erhielt ich Ende der 1990er Jahre in einer kopierten Fassung mit Kurzbeschreibungen und Kontaktdaten vom Ministerium überreicht. Ich setzte mich ans Telefon und rief alle an. «Wer seid ihr? Was macht ihr? Was braucht ihr? Habt ihr Interesse an einem Austausch mit weiteren Initiativen, an Informationen oder der Konzipierung gemeinsamer Veranstaltungen?» Die Resonanz war gut. So entstanden zunächst Fachtage zu thematischen Schwerpunkten der Projekte der ersten Stunde: Ökologie, Gemeinwesenarbeit, Konfliktbewältigung, Kommunale Beteiligungsformen Jugendlicher, Generationen-Theater, Zirkus u.a.
Im zweiten Schritt entwickelten wir mobile Teams, die bundesweit zu Fundraising / Netzwerkarbeit / Organisationsentwicklung informierten und berieten. Es folgten Regionalgruppentreffen in den Ländern, die sich bald zu Länderforen ausgewachsen hatten. Das ermöglichte uns zahlreiche Kontakte zu Bundesverbänden, den Akteuren im Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement und Sozialministerien. Ein bundesweiter Arbeitszusammenhang entstand. Die Beteiligung an Wettbewerben war wichtig. Die Jurytätigkeit beim Generationengerechtigkeits-Preis der Stiftung für die Rechte zukünftiger Generationen und beim Wettbewerb «Video der Generationen» des Kinder- und Jugendfilmzentrums in Deutschland schuf die Grundlage für die Entwicklung unseres eigenen Generationendialog-Preises.
Auch die Programme, an denen wir uns beteiligen konnten sind nicht zu vergessen: Biffy – Grosse Freunde für kleine Leute, ein Patenschaftsprogramm mit Befriending-Ansatz, der mittlerweile 10 Jahre besteht. Dazu kommen das Generationennetzwerk Umwelt der Uni Hannover und auch Neues Altern in der Stadt der Bertelsmann-Stiftung, sowie zahlreiche Europäische Lernpartnerschaften (Friedensforschung, Schulprojekte, Zeitzeugenarbeit, Dialogische Prinzipien). Das ermöglichte unserer Einrichtung ein besseres Verständnis vieler praxisrelevanter Themen, ohne selbst direkt in Projektarbeit involviert zu sein. Eine wichtige Voraussetzung für die Begleitung der Szene. Am vorläufigen Endpunkt dieser Entwicklung stehen das Veranstaltungsformat der Sommer-Foren und eine intensive Fokussierung auf die «Generationengerechte Gemeinde». Denn hier schlägt das Herz der Communitas.
Was würden Sie einem 10-jährigen Kind sagen, weshalb der Generationendialog für es wichtig ist, und was sagen Sie einer heute 65-jährigen Person?
Zum/zur 10-Jährigen: Die Alten wissen coole Dinge. Ausserdem sind sie schon länger da als du und haben mehr von der Welt gesehen, mehr Gutes, aber auch mehr Böses erfahren und können Dir Ratschläge geben. Deine Erfahrungen musst du natürlich selbst machen. Aber es ist manchmal nützlich, zu wissen, dass die Alten auch mal so angefangen haben – als unbeschriebene Blätter. Und jetzt sind sie vollgesogen. Magst du Geschichten?
Zum/zur 65-Jährigen: Die Kinder wissen coole Dinge. Wenn Sie selbst Kinder haben, muss Ihnen das niemand sagen. Wenn nicht, sollten sie unbedingt nachholen, Kinder kennenzulernen. Sie können Ihnen Sachen beibringen, die Sie längst vergessen haben oder noch nicht kannten. Und ihre Unmittelbarkeit wird Sie herausfordern.
Ist es nicht gut, zu wissen, dass das Leben neu beginnt in jedem Kind? Dass es neue Möglichkeiten entdecken kann, unvorhergesehene, unerhörte, die der Welt Perspektiven öffnen und neue Hoffnung schenken? Dazu bedarf es jedoch auch Ihrer Unterstützung.
Die Förderungsarbeit für den Generationendialog in der Schweiz: Wo sehen Sie die wichtigsten Unterschiede bzw. Gemeinsamkeiten im Vergleich mit Deutschland?
Die Schweiz war stets Vorreiterin generationsverbindender Aktivitäten.
  • Das «Generationenhandbuch» der Stiftungen Pro Juventute und Pro Senectute aus dem Jahr 1999 war ein erstes Nachschlagewerk für die europäische Dimension des Generationendialogs und hat die Idee einer länderübergreifenden Netzwerkarbeit angeregt.
  • Die Kollegen/-innen der Reformierten Kirche Bern-Jura haben sehr früh die Bedeutung generationenverbindender Massnahmen für die Kommunal- und Dorfentwicklung erkannt. Einer gemeinsamen Exkursion in die Generationendörfer im Salzburger Land, zu der sie uns aufforderten, verdanken wir viel.
  • Das Institut Universitaire Âges et Générations in Lausanne hat eine berufsbegleitende Fortbildungsreihe entwickelt, die in drei Modulen 10 Themen zu Generationenfragen behandelt und zertifiziert und damit Pionierarbeit leistete.
  • Gegenwärtig ist es die Generationenakademie des Migros-Genossenschafts-Bundes, mit der die Entwicklung von Generationenprojekten in kommunalen Kontexten einen neuen Impuls erfährt. Der Schweizer «Gründer-geist» lebt also fort.

Das ist bedeutsam, weil in den Kommunen angesichts des demographischen Wandels immer sehr auf Einsparungspotenziale geschaut und häufig verkannt wird, wie wichtig die Identifikation und die Atmosphäre, also die weichen Faktoren, für die Bindung an ein Dorf oder eine Gemeinde, an Quartier und Nachbarschaft sind. Das freiwillige Engagement ist kein Ausfallbürge für eine schieflaufende Kommunalplanung. Im Gegenteil: Dort, wo neue Beteiligungsformen erprobt werden (auch unter Schmerzen der Betroffenen, die sich von überkommenen Verhaltensmustern lösen müssen) und experimentelle Gestaltung eine Chance bekommt, da verändert sich auch der Blick auf Problemlagen. Mit anderen Worten: In den Schrumpfungsprozessen kann das Potenzial zum Modernisierungsschub schlummern.

In Deutschland sind die Bundesprogramme immer wichtig gewesen. Das ist natürlich angesichts der Kosten, die sie aufwerfen, für ein kleines Land schwer zu stemmen. Doch nicht unproblematisch ist, dass nach mehrjähriger Anschubfinanzierung Mittel häufig versanden und Kontinuität fraglich ist. Neue Ansätze, die die Selbstorganisationskräfte stärken, werden deshalb vermutlich die künftige Förderpolitik bestimmen und verändern. Während die wissenschaftliche Begleitung der Bundesprogramme eher Wirkungen betrachtet, die für den Förderer interessant sind (und dessen Einsatz legitimieren), setzt die Begleitung in der Schweiz (soweit ich das beurteilen kann) stärker auf Konzeptionelles und wirft strategische Fragen auf. Es geht ihr mehr um die Praxis. Prof. Dr. Kurt Lüscher hat mit der Schweizerischen Akademie der Geistes- und Sozialwissenschaften Veranstaltungen angeregt, die in dieser Form in Deutschland noch mit der Lupe zu suchen sind. Es ist aber zu hoffen, dass der Nachwuchs in der Wissenschaft das auch hier ändern wird.

Überraschend war, dass in der Zeit, als die Kampagne zur Verbesserung des Dialogs der Generationen startete, eine Art «Ko-Evolution» stattfand – eine Synchronizität der Angebote des Bundes und der wie Pilze aus dem Boden schiessenden Initiativen, die alle nur darauf gewartet zu haben schienen, dass jemand das Potenzial dieser Projektarbeit erkennt. Nur so ist die erstaunliche Explosion und Entwicklung der Projektelandschaft von 150 auf viele 1000 Initiativen in einer relativ kurzen Zeit zu verstehen. Die Zeit war reif für den Dialog der Generationen.Und vielleicht ist es heute auch darum leichter, darüber zu sprechen, weil inzwischen durch aktuelle Ereignisse etwas sehr deutlich geworden ist: Die Folgewirkungen des Handelns heute lebender Generationen betreffen in unerhörtem Ausmass die Zukunft der nachfolgenden. Das ist ein epochales Phänomen, wenn man es mit den Hinterlassenschaften früherer Zeiten und Kulturen vergleicht. Deshalb sind sowohl der Ausstieg aus der Atomkraft wie der Klimawandel «Generationenprojekte», für deren Tragweite und Bearbeitung institutionelle Rahmungen noch gar nicht zur Verfügung stehen.

Welche Irrwege und Fehler sollten die Schweizer Akteure nicht ebenfalls begehen, wo sollten sie aus den Erfahrungen anderer (beispielsweise Deutschlands oder Englands) lernen?

Abzuraten ist von Förderprogrammen, die sich verheissungsvollen Leitbildern verschreiben (z.B. «neuen Verantwortungsrollen») und in der konkreten Situation versagen. Entwicklungs- und Gestaltungsmöglichkeiten sind gefragt, bei gleichzeitiger Anbindung an konkrete professionelle Settings. Das wäre also ein Plädoyer für mehr Vernetzung von Anfang an, wobei die Freiwilligen als Kümmerer und Facilitator als Partner auf Augenhöhe gesehen würden. Das sollte für alle involvierten Ebenen gelten und in Verbänden, Unternehmen, Kommunen, Ministerien auch entsprechend kommuniziert werden.

Das soll nicht heissen, dass nicht auch sehr simple, rudimentäre Ansätze reiche Früchte tragen können. Aber es kommt schon darauf an, wie man die Akteure anspricht. Sie sollten als Erforscher/-innen eines unbekannten Terrains gesehen werden (und sich selbst auch als solche verstehen). Als Erforscher/-innen einer Terra incognita, für die man hohe Sensibilität und Achtsamkeit mitbringen sollte und auf der mitunter grosse Überraschungen zu erwarten sind und auch Fallstricke lauern.

Welchen Stellenwert haben die generationenverbindenden Projekte im Generationendialog für Sie und wo sehen Sie die wirkungsvollsten Fördermassnahmen für Generationenprojekte?
Ganz einfach: Sie verändern unsere Sichtweisen und damit die Welt aus folgenden Gründen:
  • Ausserfamiliäre Generationenbeziehungen sind neue Optionen und bieten eine Erweiterung individueller und kommunitärer Lebensgestaltung.
  • Sie stellen hohe Anforderungen an die Beteiligten.
  • Sie erfordern Begleitung und Beratung.
  • Sie bereichern kommunale Strukturen und fördern deren Lebendigkeit.
  • Identifikation und Gemeinsinn erblühen.
Deshalb sind Fördermittel, die kommunale Netzwerke stärken, gut angelegt und Werkstatt-Gespräche, kommunale Anbindungen und Unterstützung durch BürgerCoaches und Anlaufstellen für zivilgesellschaftliches Engagement sinnvoll. Die Entwicklung von Einzelprojekten (Patenschaften, Demenz, Mentoring, Wohngruppen etc.) hat eine grössere Chance auf Realisierung und Entfaltung, wenn eine strukturelle Basis in den Gemeinden vorhanden ist.
Was macht Generationenprojekte aus Ihrer Erfahrung erfolgreich, was lässt sie scheitern?
Commitment macht sie erfolgreich. Distanz lässt sie scheitern. Konflikte und Perspektivenvielfalt auszuhalten, an ihnen zu arbeiten und zu wachsen macht sie stark.
Wo sehen Sie interessante Möglichkeiten für eine Zusammenarbeit mit Schweizer Akteuren?
Im Bereich der kommunalen Verankerung der Projekte und der Qualifizierung der Akteure. Das betrifft vor allem die Sensibilität der Schweizer Projekte, ihrer vor allem kultursensiblen Herangehensweise. Integration hat in Deutschland leider häufig ein Negativ-Image. Nicht weil es zu wenig gute Ansätze gäbe, sondern weil der politische Wille bisher nicht recht deutlich wird. Wir kämpfen zu sehr mit unserer Selbstzentriertheit (die in Begriffsbildungen wie der «deutschen Leitkultur» Blüten treibt) und mit Ängsten, die populistisch geschürt werden («Deutschland schafft sich ab»). Die Schweiz scheint mir da aufgrund ihrer geographischen und kulturellen Traditionen etwas weiter.
Auch die Formen der Jugendbeteiligung, wie sie etwa die Kinder- und Jugendförderung in der Schweiz ausgebildet hat, böten ein fruchtbares Fundament für gemeinsame Arbeit.
Welchem Mythos im Generationenkontext möchten Sie gerne persönlich ein schnelles Ende bereiten?

Ganz klar: dem Mythos vom Krieg der Generationen. Ich halte ihm gern das (bei Hans Peter Dürr gelesene) tibetische Sprichwort entgegen: «Ein Baum, der umfällt, macht mehr Krach als ein Wald, der wächst.» Denn der in die Jahre gekommenen Headline, die gern von der Presse und den Medien revitalisiert wird, widerspricht ein ungebrochener Trend zur Gründung von Projektinitiativen, der hoffentlich viel Zukunft hat.

Und zum Schluss: «Wir können uns nicht mehr vorstellen, was wir herstellen» (Günther Anders) – weshalb wir die Folgen unseres Handelns für künftige Generationen aus dem Blick verlieren. Wir haben beträchtliche technische Möglichkeiten zur Weltveränderung, starren aber wie das Kaninchen auf die Schlange auf bevorstehende «Engpässe» und «Sachzwänge» und tun uns schwer, von der «Lust am Untergang» auf ein angemessenes Verhalten und veränderte Lebensstile umzusteuern.

Fukushima hat viel in Bewegung gesetzt. Offenbar brauchen wir Menschen Katastrophen, bevor tiefgreifender Wandel möglich wird. Dabei könnten wir uns von unseren Kindern sagen lassen, dass man gleich anfangen kann, Dinge besser zu machen, und nicht erst morgen, wenn der Klimawandel unsere Häuser und Lebenswelten zerstört hat. Der Slogan einer Schülerinitiative vom Starnberger See bringt das sehr schön zum Ausdruck: «Stop talking, start planting.»

 

Weiterführende Informationen:

1   Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend schuf 1993/94 die Initiative zur Verbesserung des Dialogs der Generationen, in deren Zuge 1997 das Projektebüro entstand.
2    http://www.generationengerechtigkeit.de/
3    http://www.video-der-generationen.de/
4    http://www.generationendialog.de/
5    http://www.biffy-berlin.de/

6    entfernt
7    http://www.bertelsmann-stiftung.de/
8    http://www.jpfragniere.ch/
9    http://www.generationenakademie.ch/
10 http://www.sagw.ch/
11 http://www.infoklick.ch/jugendmitwirkung/

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