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Generationensolidarität braucht soziales Vertrauen

Wird über Generationensolidarität in der Gesellschaft gesprochen kommen schnell die wirtschaftlichen Aspekte von gesellschaftlichen Generationenbeziehungen in den Blick. Trotzdem gibt es noch recht wenig empirisch fundierte Forschungsarbeiten, die die Diskussion und die Aushandlungsprozesse in der Gesellschaft mehr mit Fakten statt Mythen bereichern könnten.

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Foto: KEYSTONE/DPA/Harald Tittel; Crowdsurfing als ein sichtbares Beispiel von sozialem Vertrauen

In seiner Dissertation hat Dominik Lober Hintergründe und Bedingungen für ein solidarisches Generationenverhalten der älteren Bevölkerungsgruppen gegenüber den jüngeren anhand ihrer Finanzierungsbereitschaft untersucht. Die zentrale Bedeutung von sozialem Vertrauen der älteren in die jüngeren Generationen ist eines seiner interessanten Forschungsergebnisse, die er im Interview mit Intergeneration vorstellt.

Das Interview mit Dominik Lober zur Generationensolidarität

Herr Lober, im Rahmen Ihrer Dissertation sind Sie der Frage nachgegangen, ob alte Menschen mit der jungen Generation solidarisch sind. Konkret: Sie haben gezeigt, dass wenn es um die Kürzung von Geldern geht, die eigene Rente wichtiger ist als Bildung. Hat Sie das erstaunt?

Nicht besonders, obwohl in der Wissenschaft bis vor kurzem als unumstritten galt, dass alle Generationen in hohem Masse bereit sind, Gelder für Bildung auszugeben. Mich interessierte die Frage: Was geschieht, wenn Gelder nicht mehr unbegrenzt zur Verfügung stehen, wenn höhere Ausgaben in einem Bereich Kürzungen in einem anderen erfordern?

Der demografische Wandel beeinflusst die Generationensolidarität

Im Titel Ihrer Arbeit heisst es „in Zeiten der Ressourcenknappheit“. Wann haben diese Zeiten Ihrer Meinung nach begonnen?

Ich würde sagen, öffentliche Gelder werden in Industrieländern seit Ende des letzten Jahrhunderts knapper, von Land zu Land verschieden ausgeprägt. Ein grosser Forschungszweig zeigt: Die Ausgaben des Wohlfahrtsstaats hängen stark mit dem Wirtschaftswachstum zusammen. Mit einer Wachstumsrate von 2 Prozent, wie wir sie beispielsweise in Deutschland haben, ist es nicht möglich, die Ausgaben in allen Bereichen zu steigern. Dies gilt insbesondere für Länder der Eurozone, die Obergrenzen für öffentliche Schulden berücksichtigen müssen.

Betrachtet man die demografische Entwicklung, dürfte sich die Lage in Zukunft verschärfen: Viele alte Menschen werden wenig jungen Menschen gegenüberstehen. Nimmt die Generationensolidarität ab und steht somit ein Kampf der Generationen bevor, was öffentliche Finanzen betrifft? 

Ja, ich glaube, der Verteilungskonflikt wird grösser werden, wenn auch nicht offen ausgetragen, denn „Alte Menschen“ sind kein monolithischer Block. Manchen ist durchaus bewusst, wie viel die junge Generation heute leisten muss, um auf einen grünen Zweig zu kommen. Dennoch fürchte ich, dass die Spannungen künftig grösser werden. Beispielsweise was die Bereitschaft betrifft, finanzielle Einbussen zugunsten des Klimas mitzutragen. Es ist kein Zufall, dass sich die junge Generation mit „Fridays for Future“ bemerkbar macht und entsprechende Forderungen stellt.

Generationensolidarität in politischen Lagern und bei religiösen Menschen

Ist diese nur bedingte Generationensolidarität der alten Menschen im linken und rechten Lager gleichermassen festzustellen?

Gemeinhin würde man meinen: Konservative befürworten eher höhere Renten, links der Mitte werden Bildungsausgaben unterstützt. Es zeigte sich jedoch kein statistisch verlässlicher Effekt. Wir konnten keine deutlichen Unterschiede ausmachen. Das ist ein überraschendes Ergebnis.

In Ihrer Arbeit zeigen Sie auch auf, dass Normen und Werte politische Entscheide beeinflussen. Wie kommt es, dass religiöse Menschen beispielsweise weniger bereit sind, junge Menschen finanziell zu unterstützen?

Solidarität ist auch für sie wichtig, aber sie betrachten es eher als Aufgabe der Kirche, sich um Bedürftige zu kümmern oder Kinder zu sozialisieren. In dieser Gruppe sind die Präferenzen homogen, was den untersuchten Effekt stark macht.

Sind alte Menschen, die selber Kinder und Enkel haben, eher bereit, ihre Renten für mehr Bildung zu kürzen? Ist bei diesen Menschen die Generationensolidarität stärker? 

Nein. Auch bei Menschen, die bald sechzig Jahre alt sind und im Arbeitsleben mit jungen Leuten zu tun haben, zeigen sich keine entsprechenden Effekte. Anders ist es hingegen, wenn ältere Menschen der Ansicht sind, Leute in ihren Zwanzigern würden zur Wirtschaft beitragen und damit einen positiven Effekt auf die Gesellschaft haben.

Die Medien sind in der Pflicht: Eine Sensibilisierung ist nötig

Wie liesse sich die ältere Generation in diesem Sinne sensibilisieren?

Die Medien müssten besser darüber informieren, was die jüngere Generation leistet, und unter welchem Druck sie steht. In Deutschland ist die Nachkriegsgeneration, die es tatsächlich nicht leicht hatte, beispielsweise oft der Ansicht, den Jungen werde heute alles geschenkt.

Was könnte sonst noch getan werden?

In den OECD-Staaten profitiert die ältere Generation überdurchschnittlich stark von Sozialleistungen. Vielleicht müssten die Medien klarer kommunizieren, wie hoch das Budget für die verschiedenen Sozialausgaben ist; welche Altersklasse wie viel erhält. Ich glaube, dafür fehlt einem Grossteil der Bevölkerung das Bewusstsein.

In Ihrer Arbeit sprechen Sie von social trust (sozialem Vertrauen). Was ist damit genau gemeint?

Ich meine damit das zwischenmenschliche Vertrauen. Je mehr eine Person fremden Menschen vertraut, desto mehr fühlt sie sich über die Altersgrenze hinaus solidarisch.

Soziale Medien schwächen die Generationensolidarität

In den sozialen Medien bleibt man eher unter seinesgleichen. Nimmt die Generationensolidarität aufgrund der sozialen Medien ab? Verschärfen sie die Kluft zwischen den Generationen?

Das nehme ich an. Schon Fernsehen und Internet haben das getan. Der amerikanische Soziologe Robert D. Putnam hat aufgezeigt, dass sowohl Fähigkeit und Bereitschaft schwinden, sich mit fremden Menschen auseinanderzusetzen, je stärker der Alltag von Medien durchdrungen ist. Dieser Trend setzt sich fort. Ich habe allerdings die Hoffnung, dank der sozialen Netzwerke künftig wieder auf einfachere Weise mit Menschen in Kontakt kommen, die in ganz anderen Verhältnissen leben.

Was bedeuten die Erkenntnisse Ihrer Arbeit für die Politik?

Renten auf Kosten der Bildung kürzen zu wollen, ist bestimmt kein Rezept. Unangenehme Reformen können allenfalls in Form von grossen Paketen durchgebracht werden, sogenannten Package Deals, bei denen alle Kompromisse machen müssen, aber auch etwas gewinnen. Die grosse Hürde bleibt aber: Da ältere Menschen den grössten Anteil der potenziellen Wählerschaft darstellen, werden Politiker es weiterhin tunlichst vermeiden, sich mit dieser Gruppe anzulegen. Sie versprechen vielmehr Rentengeschenke, obwohl klar ist, dass das System langfristig nicht funktionieren wird. Mit anderen Worten: Der Druck muss von unten kommen. Analog der Bewegung „Fridays for Future“. Ich wundere mich, was die junge Generation noch immer mit sich machen lässt.

Konkret?

Wenn die jungen Menschen verstehen, dass sie im Alter sehr wenig Rente erhalten werden, obwohl sie jetzt Geld dafür einzahlen, werden sie etwas ändern wollen. Das heisst, wir müssen weg vom reinen Umlagefinanzierungsmodell und stärker hin zu einer privaten Altersvorsorge, wie sie beispielsweise in den Niederlanden etabliert ist.

Und was würde das für Menschen bedeuten, die es sich nicht leisten können, Geld auf die Seite zu legen?

Eine private Altersvorsorge müsste sozialverträglich sein, mit staatlichen Zuschüssen für Menschen, die wenig verdienen. Das Modell der Niederlande besteht beispielsweise aus drei Säulen, eine davon ist die staatliche Grundrente.

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Daniela Kuhn

Ein Blogbeitrag der Zürcher Autorin Daniela Kuhn im Auftrag von Intergeneration. Das Interview fand im Juni 2019 statt. Dominik Lober promovierte an der Universität Konstanz bei Prof. Marius Busemeyer, Arbeitsgruppe für Policy-Analyse und politische Theorie im Fachbereich Politik- und Verwaltungswissenschaft. Er ist in der Beratungsbranche tätig.

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